10. WMCCC Lyon 1990

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  • Lyon, 1990.11.24 - 1990.11.30
  • World Microcomputer Chess Champion: Mephisto Lyon

Die Zehnte Weltmeisterschaft im Mikrocomputerschach fand vom 24. bis 30. November 1990 im Palais des congrès de Lyon, Lyon, Frankreich, statt.

P Player Score SOP 1 2 3 4 5 6 7
1: Mephisto 6.5 / 7 27.0 5w+ 9b+ 4w+ 3b+ 2w= 6b+ 7w+
2: Echecs 1.9 5.5 / 7 28.0 3w= 10b= 7w+ 4b+ 1b= 5w+ 8w+
3: Gideon 5.5 / 7 26.5 2b= 11w+ 9b+ 1w- 5b+ 4w+ 6b+
4: The King 4.0 / 7 27.5 6w+ 7b+ 1b- 2w- 10w+ 3b- 12w+
5: Check Check 3.5 / 7 26.0 1b- 12w+ 11b+ 6w= 3w- 2b- 10w+
6: Patzer 3.0 / 7 27.0 4b- 8w= 12b+ 5b= 7w+ 1w- 3w-
7: Chess Simulator 3.0 / 7 26.0 8w+ 4w- 2b- 11b+ 6b- 9w+ 1b-
8: BB 3.0 / 7 19.5 7b- 6b= 10w- 12w= 9b+ 11w+ 2b-
9: Cumulus 2.5 / 7 23.5 12b+ 1w- 3w- 10b= 8w- 7b- 11w+
10: Nightmare 2.5 / 7 21.5 11b- 2w= 8b+ 9w= 4b- 12w= 5b-
11: Delta 1.5 / 7 21.5 10w+ 3b- 5w- 7w- 12b= 8b- 9b-
12: Nest 1.5 / 7 20.0 9w- 5b- 6w- 8b= 11w= 10b= 4b-

42 games: +19 =9 -14

Sehr glücklich konnte Mephisto in Lyon den Titel verteidigen. Eigentlich hätte das Programm Echecs von Marc Baudot (F) den Titel gewonnen, wenn, ja wenn sich Echecs nicht selbst geschlagen hätte. In der 5. Runde kam es zum endscheidenden Duell Mephisto Lyon gegen Echecs. Das französische Programm zeigte nach dem 29. Zug eine Bewertung von +4,0 an und die Partie wäre für den Lyon verloren gewesen. Aber Marc Baudot hatte vor der Partie einen Remisfaktor von +4 in seinem Programm hinterlegt. Und das Programm hielt sich brav an die Vorgabe seines Meisters und willigte bei einem Vorteil von 4 Bauerneinheiten ins Remis ein.

Dies war der 7.Titel in Folge für Mephisto und auch der Letzte! Die Zeiten hatten sich geändert und die schachlichen Untertanen von König Richard wurden aufmüpfig. Während die Hardware für Schachcomputer langsam ins Stocken geriet, entwickelte sich die PC-Hardware rasant und dies bekam Mephisto bei der folgenden WM zu spüren.


Um ein Haar wär's schiefgegangen

10. Mikrocomputer-Schachweltmeisterschaft in Lyon

(Turnierbericht von Frederic Friedel aus Computerschach und Spiele / Heft 1 / 1991)

Wie wir in einer Sonderaussendung zu Weihnachten bereits berichteten, fand die 10. Mikro-WM vom 24. bis 29.11. in Lyon statt, im gleichen Gebäude, in dem Kasparov und Karpov ihren ewigen Disput um die höchste (menschliche) Schachkrone austrugen. Leider konnte wieder außer Hegener+Glaser kein anderer Hersteller von kommerziellen Schachcomputern sich entschließen, an der WM teilzunehmen, so dass der Titel in der Herstellergruppe kampflos an Richard Lang und den Mephisto Lyon ging. In der Software-Gruppe wurde dagegen tatsächlich gespielt, und dort lief für den amtierenden Weltmeister beileibe nicht alles nach Plan. Frederic Friedel berichtet.

Ursprünglich waren es dreizehn Programme, die beim Stelldichein der besten Schachprogrammierer im französischen Lyon eintrafen. Doch gleich am ersten Abend kam es zu einem Zwischenfall den ich nicht selber erlebt habe und so ohne Gewähr wiedergeben muss: Der Autor eines unbekannten französischen Programms und der Engländer Chris Wittington (Chess Simulator) gerieten in Streit, es kam zu Handgreiflichkeiten, wobei der Franzose den Kürzeren zog. Daraufhin reiste dieser ohne Protest und ohne sich bei der Turnierleitung abzumelden, kurzerhand ab. Und so waren's nur noch zwölf (siehe Schlusstabelle).

Natürlich war auch in diesem Feld das Lang-Programm haushoher Favorit. In München hatte man von dem Gedanken. à la Fidelity eine 68040-Maschine zu hauen, inzwischen Abstand genommen - der anscheinend noch nicht völlig ausgereifte Prozessor von Motorola brächte für das Lang-Programm ohnehin keine dramatischen Vorteile. In puncto Hardware brauchte sich die Konkurrenz nicht zu verstecken: etliche hatten die aller neuesten 80486-Rechner dabei, und die Programme Gideon und The King liefen auf sehr schnellen (Archimedes) RISC-Prozessoren, die in der Leistung dem 68030 von Mephisto Lyon kaum nachstehen. Dennoch glaubte keiner auch nur einen Augenblick daran, dass das Flaggschiff von Hegener+Glaser die hübschen goldenen WM-Etiketten von seinem Karton würde entfernen müssen.

In der ersten Runde gab es eine Kurzbegegnung zwischen dem Lyon und dem neuesten Programm von Wolfgang Delmare, inzwischen ein alter Bekannter in der Computerschach-Szene (sein Programm hieß früher "Chat"). Wer solche Kurzpartien liebt, dem sei die folgende empfohlen, die unter französischen Landsleuten ausgetragen wurde. Cumulus ist mit dem Programm Echec nahe verwandt, da beide vom Team Weill/ Baudot entwickelt wurden. Wichtigster Unterschied: Echec ist ein reines Brute-Force-Programm ("den Spracklen-Programmen nachempfunden." sagte mir Jean-Christophe Weill), während Cumulus "wie ein Lang-Programm" stark selektive Komponenten enthält. Beide sind in C geschrieben und liefen in Lyon auf 468-Rechnern mit 33 MHz. Belangvoller ist die nächste Partie, zum einen weil es sich bei Gideon um eine sehr schnelle Version von Ed Schröders Polgar/MM V handelte, der bald als Steckkarte für PCs und Heimcomputer erhältlich sein wird, zum anderen, weil es Echec 1.9 war, der die vorgesehene Ordnung dieses Turniers gewaltig störte. Schon in der ersten Runde wurde der für den Platz zwei abonnierte Gideon durch das Amateur-Programm schockiert. In der zweiten Runde traf Cumulus auf sein Lang Vorbild, das ein von Nunn empfohlenes Bauernopfer aufs Brett brachte. Bemerkenswert, dass Mephisto nach diesem Theorieopfer den Bauern gar nicht zurückzugewinnen trachtete und sich in der Bewertung auch nie im Nachteil fühlte. Das war sicher die beste positionelle Leistung des alten und neuen Mikro-Weltmeisters. Nighmare, das Produkt des deutschen Programmiererpaars Reinhold Gellner und Gaby von Rekowski, spielte in diesem Turnier dreimal mit Weiß den Larsen-Zug 1.b3, und remisierte dreimal damit. So gegen Echec 1.9 in Runde zwei. Gideon hatte derweilen gegen Schlusslicht Delta (von Frè Felkers aus Holland) in einem scharfen Aljechin leichtes Spiel. Die dritte Runde brachte drei Schwarzsiege der deutschen über die französischen Amateur-Programme: BB (Christopher Joli)-Nightmare: 0-1; Nest (Bruno Bras)-Patzer (Werner Koch und Thomas Schäfer): 0-1; und Delta-Check Check: 0-1. Ebenfalls mit Schwarz schlug Gideon Cumulus recht überzeugend in 57 Zügen, während Mephisto die holländische RISC-Maschine (die 3.g3 nicht in der Bibliothek hatte!) in einer Partie besiegte, die Mephisto-Freunde und -Kritiker sicherlich interessieren wird. Die vierte Runde brachte eine hübsche Kurzpartie, die das jetzt allmählich Beachtung findende französische Programm auf den zweiten Platz hievte. Für das Lang-Programm lief alles wie am Schnürchen: Es konnte den (vermeintlichen) Hauptkonkurrenten ausspielen und die Führung behaupten. Die fünfte Runde dieses Turniers wird das Duo Weill/Baudot so schnell nicht vergessen. Zunächst einmal gab es Pech mit Cumulus. Das selektive Programm kurz vor der WM fertiggestellt, hatte noch etliche "Bugs." In der Partie gegen BB musste Weill aufgeben (die Stellung war allerdings eh verloren), weil sich das Programm vornahm, über den 61. Zug einen ganzen Tag zu rechnen. Irgendwie hatte sich der Rechner auf eine Zeiteinstellung von 2 h für 40. 1 h für 20 und 24 h für 1 eingestellt.

Und dann gab es den Krimi gegen Mephisto Lyon. Um diese Partie, die in der Computerschachgeschichte einen festen Platz einnehmen wird, voll zu würdigen, muss man den Spielstand zu diesem Zeitpunkt kennen. Mephisto lag mit 4.0 Punkten aus den ersten vier Runden einsam in Führung, Echec war, für alle Beteiligten überraschend, mit drei Punkten immer noch an zweiter Stelle. Aber nur ein halber Zähler dahinter folgte schon die schwere RISC-Maschine von Gideon und der 486er von Check Check, und mit zwei Punkten wollten The King, Chess Simulator, Nightmare und Patzer bestimmt auch noch ein kräftiges Wörtchen mitreden.



So, damit war die Sache vorbei. Mephisto zeigte bereits -3.0 an. Richard Lang zog als letzte Rettung seinen "lucky pen" hervor, einen glücksbringenden Kugelschreiber mit Mephisto-Gravur - ein Verzweiflungsakt, denn was konnte hier noch geschehen? Wahrscheinlich könnte ein Mephisto Mini die Stellung für Schwarz gewinnen. Ossi Weiner plante, ob dieser schändlichen Niederlage und dem Debakel der vermutlich verlorenen Weltmeisterschaft sich am südfranzösischen Wein sinnlos zu betrinken.

Allerdings zeigte der Echec-Bildschirm Erstaunliches: b6a5 e1f1 a5b6 f1e1 b6a5 +4.0!!?? Vollkommen unverständlich: das Programm wollte bei gewonnener Stellung die Züge wiederholen. Ein Blick auf das Gesicht von Marc-Francois Baudot verriet, dass der junge Franzose genau wusste, was hier ablief. Und obwohl es arg schmerzte, gab er den Umstehenden detailliert Auskunft.

Echec, das hatten Baudot und Weill vor der Partie entschieden, sollte unbedingt den Titel des Amateur-Weltmeisters gewinnen. Gegen das Superprogramm aus München wollte man mit allen Mitteln ein Remis herausholen, also wurde kurzerhand der Geringschätzungsfaktor (Remiswert) auf +4 Bauern gesetzt. Das bedeutet, dass Echec auch mit einer Figur und einem Bauern mehr bereit sein würde, jede sich bietende Remismöglichkeit zu ergreifen! Wer konnte ahnen, dass man gegen die übermächtige Konkurrenz in Gewinnstellung kommen würde?

Und so spielte Echec vor fassungslosen Zuschauern seelenruhig weiter: 29...La5+ 30.Kf1 Lb6 31.Ke1 La5+ 32.Kf1. Jetzt fing das Amateur-Programm an, recht lange zu rechnen, was die Stimmung bei der Mephisto-Mannschaft sinken und bei Baudot einen Funken Hoffnung aufkommen ließ. Er hatte nämlich am Vortag den "repetition code", den Zugwiederholungsalgorithmus, neu programmiert und konnte jetzt nur noch beten, daß er dabei einen Fehler gemacht hätte. ..lf I did a good job we draw, if I made a mistake we win," meinte er wehmütig. Aber er hatte einwandfrei gearbeitet: 32...Lb6 remis.

Nach dieser Partie war die Weltmeisterschaft praktisch entschieden, es ging im Grunde nur um Platz zwei. Gideon warf in der sechsten Runde The King mit 1.Sc3 d5 2.e4 sofort aus der Bibliothek, blieb selber aber 14 Züge lang ohne eigene Rechenleistung, was bei einigen Zuschauern zu einem bösen Verdacht führte: Hatten Louwman/Schröder Zugang zum King-Programm und eine Killereröffnung programmiert? Das wurde heftig abgestritten und man muss "in dubio pro reo" urteilen. Auch Echec gewann (mit Weiß) seine Partie gegen Check Check, so dass beide Rivalen mit 3.5 aus fünf Partien gleichauf lagen. Mephisto überrannte mit Schwarz das Amateur-Programm Patzer - dank seiner überlegenen Rechenkraft konnte er in folgender Stellung eine Figur gewinnen: In der letzten Runde sicherte sich Mephisto seine Krone (zum siebten Mal in Folge) mit einer schönen Partie gegen das englische Programm von Chris Wittington. Gideon hatte Schwarz gegen Patzer und zeigte die folgende taktische Leistung: Nebenan hatte es Echec in einer Weißpartie gegen BB unwesentlich schwerer und gewann einen sauber geführten 55-züger. Damit sicherte sich Echec auf Grund der besseren Wertung den zweiten Platz vor dem punktgleichen Gideon.

Wir haben mit den Autoren von Echec gesprochen, das Programm wird im Augenblick nicht weitergegeben bzw. verkauft, weil nach Auskünfte von Jean-Christophe Weill Echec noch ,"viel zu schwach ist, besonders bei Schnellpartien, und wir vorher noch viele Verbesserungen durchführen wollen." Erstaunliche Bescheidenheit angesichts eines tollen Erfolges bei dieser WM. Wir warten jedenfalls gespannt auf die "verbesserte" Version - es könnte ohne weiteres ein Programm werden, das auch die besten Schachcomputer auf dem Markt das Fürchten zu lehren verstellt.


Weblinks


siehe auch