Mephisto Portorose 68000
Mephisto Portorose 68000 / 16 Bit | ||
---|---|---|
Picture by Steve Blincoe | ||
Hersteller | Hegener & Glaser | |
Markteinführung | 1989 | |
CElo | 2046 | |
Programmierer | Lang, Richard | |
Prozessor | 68000 | |
Prozessortyp | 16 Bit | |
Takt | 12 MHz | |
RAM | 512 KB | |
ROM | 128 KB | |
Bibliothek | 27158 Halbzüge in 4293 Varianten
Werbeprospekt: ~ 10.000 Varianten mit ca. 80.000 Halbzüge | |
Einführungspreis | 2300 DM (1150 €) | |
Rechentiefe | 31 Halbzüge | |
BT-2450 | 1961 | |
BT-2630 | ||
Colditz | ||
Verwandt | Mephisto Portorose | |
Zugeingabe | Magnetsensoren | |
Zugausgabe | 64 Feld-LEDs | |
Display | 2 x 16-stellige Punktmatrix LCD Anzeige | |
Stromversorgung | Netz = HGN 5004A | |
Spielstufen | beliebig programmierbar | |
Maße | Modulset | |
Sonstiges | ||
Allgemeines zum Mephisto Portorose-Programm:
Ein Jahr war seit der Micro-WM im Spanischen Almeria vergangen und der neue Kampfesort hieß Portorose (im heutigen Slowenien). Hegener & Glaser (Mephisto) hatte wie auch die Jahre zuvor auf das gleiche Erfolgsduo Richard Lang / Ossi Weiner gesetzt - zurecht wie sich zeigte. Alles sollte, und gemessen an den hohen Erwartungen, wurde es auch besser. Der "Neue" trat vor allem mit einer "kommerziellen Hardware" an, die es in sich hatte: ein Motorola 68030 mit 36 MHz, 2 Megabyte für Hash Tables, zu erhalten für "günstige" 15.000 DM. Normalsterbliche durften a.) ihre Almeria`s zur Umrüstung nach München senden oder b.) sich mit den "günstigen" 68020 (32 Bit) + 68000 (16 Bit) Modulsets eindecken.
Da auf der WM kein kommerzieller Gegner auf weiter Flur zu finden war, bekam Mephisto diesen Titel kampflos. Doch halt - in der Softwaregruppe durfte der verwöhnte Seriensieger doch die Klingen kreuzen und zeigen welche Verbesserung er gegenüber seinem Vorgänger aufzuweisen hatte. Es wird niemanden überraschen wenn man sagt, dass der Spielstiel des Portorose nach wie vor als Positionell-ruhig zu charakterisieren ist. Die ohnehin schon umfassende Eröffnungsbibliothek wurde nochmals erweitert (von ca. 60.000 auf ca. 85.000 Halbzüge). Auch die Ausstattung wurde abgerundet (einige "Ungeschliffenheiten" des Menü-Systems wurden verbessert, darunter vor allem die Stellungseingabe), 3 wählbare Spielstile eingeführt (Risiko, Aktive (Grundeinstellung) und Solide). Die restlichen Änderungen betrafen vor allem das Schachprogramm. Der Spielstil ist etwas druckvoller, wobei man von einem wilden Angreifer in jeder Spielstileinstellung noch weit entfernt ist. Interessant ist, dass der Portorose teilweise schon echte strategische Ansätze zu zeigen scheint und auch positionell / taktisch nicht ungeschickt agiert. Sicher - es gab zu dieser Zeit bestimmt stärkere Taktiker (Fidelity) die aber leider in positioneller Hinsicht spürbar abfielen (wenn auch auf hohem Niveau). Es scheint vor allem das Gesamtpaket zu sein, was den Portorose damals zu einem für Computer wie Menschen schwer zu schlagenden Gegner machte. In Simultanveranstaltungen wurden die Skalps von Karpov + Hübner erbeutet, auf der offenen Computer WM an der auch Deep Thought teilnahm, wurde dieser prompt besiegt. Wen wundert es da noch, das auch eine Auswahl des damals frisch gebackenen Deutschen Meisters im Schnellschach mit 7,5 zu 4,5 Punkten deklassiert wurde? Nein - um so was zu erreichen, muss der Portorose schon ein wenig Schachspielen können.
Der zweitstärkste Schachrechner
Frederic Friedel schildert seine Erfahrungen mit dem Mephisto Portorose
(aus CSS Heft 6 / Dezember 1989)
Rund 3.500 Mark kostet es, das „WM-Set Portorose 32 Bit", dazu noch DM 100 für das Netzteil, eine wahrlich stolze Summe. Ist das neue Programm sein Geld wert?
Als das WM-Set da war, habe ich es gleich in ein Exclusive-Brett, wo einige Monate lang ein Roma II hauste, etwas zimperlich eingebaut. Ach ja, das Brett kommt noch dazu, so dass der Gesamtwert der Anlage jenseits von 4000 Mark liegt. Ich muss unbedingt meine Hausratversicherung erhöhen.
„Hervorragender" Anschluss
Eine umfangreiche Anleitung, in Apple-Laser-druck von Ossi Weiner verfasst („So, nun wollen Sie vielleicht noch wissen, wie Sie Ihren MEPHISTO „auseinandernehmen können" - der Stil ist unverkennbar), gibt sogleich Auskunft über den Einbau: Wie man die etwas anti-intuitiv arbeitende Sperrklinke rechts löst, die drei Moduleinschübe - nun ja - einschiebt, und „ausschließlich den zugehörigen Netzadapter HGN 5004A" verwendet. Dieser wird direkt in die Netzbuchse des „Adaptermoduls" (eines von den dreien) gesteckt, so dass er ganz vorne am Gerät nach oben ragt und einen ständig gemahnt: Hier wird ein Elektrogerät betrieben.
Wozu diese wenig elegante Lösung (es gibt nicht einmal einen Schalter - man muss den Stecker ziehen)? Die Anleitung erklärt's: „Das Adapter-Modul erhalten Sie nur dann, wenn Sie ein Portorose-Modulset (68.000 oder 68.020) erwerben, nicht aber, wenn Sie ein Komplettgerät Exklusiv Portorose oder München Portorose 68.000 oder 68.020 erwerben. In letzterem Falle benötigen Sie kein Adapter-Modul, sondern schließen das Netzteil einfach an die vorhandene Netzbuchse links hinten am Gehäuse an." Wohl dem, auf den dieses zutrifft!
Gleich nach dem Anschluss am häuslichen Strom-netz belohnt mich der Portorose mit einem freundlichen Piepser und, auf der 32-stelligen Punktmatrixanzeige, der Message „FORT START LÖSCH - Meph. Portorose". Kein hysterisches Blinken, da die Figuren noch nicht richtig stehen; doch als diese aufgestellt sind, auch keine Anstalten, mein tentatives e2-e4 zur Kenntnis zu nehmen.
Zur Steuerung des Geräts stehen karge sechs Tasten zur Verfügung. Keine „Memo", „Info", „Pos" oder „New game", die einem ihre Funktion verraten, sondern vier Pfeiltasten (schwarz), ENT (grün) und CL (rot). Es ist das revolutionäre Bedienungssystem, das vor einem Jahr beim Almeria eingeführt wurde und sogleich einen Sturm der Entrüstung bei den altgedienten Mephisto-Besitzern auslöste. Ich selber - das muss ich hier gestehen - habe nie einen Almeria gehabt und nie mit dem Menüsystem gearbeitet. Ein echtes Versuchsobjekt also, daher die genaue Schilderung.
Man entdeckt sehr schnell, dass die Pfeiltasten einen blinkenden Cursor in der Anzeige bewegen und dass ENT die entsprechende Funktion auslöst. Also Pfeil nach rechts auf „START" und ENT. Jetzt ist das Gerät tatsächlich spielbereit und erwidert meine Kontaktversuche mit 1...d7-d6. Es erscheinen vielstellige Uhren, die leicht zu verstehen sind: „C" für Computer, „S" für Spieler, „Z" für Züge. Nach 2.Sf3 Sf6 3.Sc3 g6 begreife ich, dass er automatisch auf 60 Züge in 5 Minuten eingestellt war und die Züge und Zeit herunterzählt. Über den weiteren Verlauf dieser ersten Partie schweigt des Dichters Höflichkeit.
Doch nun zum ersten „richtigen" Einsatz. Auf dem Tisch liegt Schachmagazin 64, aufgeschlagen und angekreuzt eine wunderschöne Studie von Paul Heuäcker (Frankfurter Rundschau 1955):
Die Lösung: 1.Kh8!! (1.Lf1? Le4+! 2.Kh8 h2 gewinnt für Schwarz) 1...h2 2.a8D Lxa8 3.Le4 remis, da 3...Lxe4 patt ist, und sonst 4.LxL folgt. Daher der feinsinnige erste Zug, den der Computer-Weltmeister nun finden soll.
Die Eingabe der Stellung will nicht ohne Anleitung klappen, also suche ich nach dem entsprechenden Kapitel: 3.10 STELL Stellungseingabe. Dort steht klar und deutlich: „Die STELL-Funktion wird in gewohnter Weise durch Anwählen mit den Pfeiltasten und dem Cursor aktiviert." Aber in meinem Portorose gibt es den Menüpunkt STELL überhaupt nicht! Egal was ich mache, ich bekomme kein Untermenü zur „Veränderung und Neueingabe von Stellungen".
Das ist also das sagenumwobene Menüsystem, von dem böse Zungen behaupten, es sei ein raffinierter Schachzug von Ossi Weiner, da er als einziger Händler dieses (zufällig von ihm ersonnene) System perfekt zu erklären vermag. Ich musste in den sauren Apfel beißen und mir das Kapitel „1.4 Das Bedienungsprinzip" zu Gemüte führen.
Unübertroffen schnell
Ich will die Geschichte nicht allzu lange ausdehnen: Nach kurzem Überfliegen von 1.4 war alles plötzlich klar, und ich habe seitdem die Anleitung nur ganz selten konsultieren müssen. Pfeil runter „scrollt" zu weiteren Menüpunkten (aha! das fördert sofort die gesuchte STELL-Funktion zutage); mit den Pfeiltasten steuert man einen beliebigen Menüpunkt an; ENT führt in das Untermenü; erneutes Drücken von ENT bedeutet, der Benutzer will die angezeigten Werte verändern, was immer logisch mit den Cursortasten besorgt wird; CL schließt das ganze ab. Auch so aufwendige Funktionen wie BIBLO (Abspeicherung von Eröffnungsvarianten) und ABLAG (Partiespeicher) habe ich allein mit Hilfe der angezeigten Dialogtexte kapiert. Desgleichen auch mit Info, Alter, Memo, Stufe, Kont, Funkt, Beide, und wie sie alle heißen.
Damit ist die Eingabe der oben angeführten Stellung eine Trivialität: LEER macht ebendies mit dem internen Brett, Pfeil links/rechts verändert die Figurenart, rauf/runter die Farbe. Besonders zu schätzen gelernt habe ich die Option äNDER, wonach man z.B. aus der Grundstellung sehr einfach Figuren entfernen oder versetzen kann. Hebt man eine Figur an, wird Art und Farbe automatisch angezeigt, so dass man sie ohne Tastenbetätigung woanders absetzen kann. Entfernt man die Figur vom Brett und geht zur nächsten über, ist sie eben weg. So kann man unübertroffen schnell eine beliebige Eröffnungs- oder Mittelspielstellung aufs Brett bringen, und nur wenn man eine ganz neue Figur hinzufügen will, d.h. eine, die gar nicht auf dem Brett vorhanden ist, muss man zur Tastatur greifen.
Kompliment an die Entwickler für diese wirklich kluge Lösung, nicht aber unbedingt für die fehlende Rückfrage bei START. Ich verstand darunter zunächst "Spiele, Computer!" und verlor, da es in Wirklichkeit „Neue Partie" heißt, mehrfach die eingegebene Stellung. Inzwischen ist bei mir „ZIEHT" zu einem Alltagsbegriff geworden.
In der Stellung von Heuäcker (nochmals eingegeben) löste also ZIEHT den Rechenvorgang aus, und Pfeil rauf brachte gleich das für mich wichtigste Info-Fenster: Suchtiefe brute-force/selektiv, gerade untersuchter Zug, Nummer in der Zugliste, Bewertung und zwei Halbzüge Hauptvariante - alles in einer Anzeige! Wer es automatisch und anders möchte, der kann das über die sehr mächtige Funktion FUNKT (über sechs Seiten im Handbuch, aber man versteht das meiste auch ohne) programmieren - sogar getrennt für die Rechen- und die Bereitschaftsphase. Doch mitten in der Freude über all diese schönen Möglichkeiten kam der nächste Schock: Der große Mephisto Portorose 68020, Weltmeister aller (Mikro-)Klassen, blickte bei der Heuäcker-Studie überhaupt nicht durch! Nach fünf Sekunden verfiel er auf 1.Lfl? und blieb trotz sinkender Bewertung bei diesem Zug. Keinen Schimmer von 1.Kh8!! Was nützt die schönste Anzeige, wenn es nichts Anständiges anzuzeigen gibt!
Eine Pleite mit dem neuen Programm? Als erfahrener Computerschach-Freund weiß ich genau, dass man bei den heutigen Schachrechnern es tunlichst vermeiden sollte, gleich von „Schachblindheit", „schlimmen Fehlern" und dergleichen zu sprechen. Mein Rat an alle, die es hören wollen: Wenn der Computer Blödsinn macht, untersuche genau, ob es wirklich Blödsinn ist, auch wenn du ein Großmeister bist und alles viel besser verstehst! So auch mit der Heuäcker-Studie, besonders wenn der Portorose nach fünf Minuten immer noch tiefpessimistisch (-9.33) 1.Lfl spielen will. Die Hauptvariante, einfach mit Pfeil rechts zu vertiefen, lautet 1.Lfl Le4+ 2.Kh6 h2 3.Kg5 h1D 4.Lc4+ Kg7 5.Kf4 Dcl + 6.Kxe4.
Also lässt man den Zug ausführen (wieder ZIEHT) und nimmt ihn anschließend zurück (ohne Vorankündigung einfach auf dem Brett zurückspielen). Nun will man sehen, was mit 1.Kh8!! eigentlich los ist. Also wird dieser Zug manuell eingegeben und der Portorose nach einer schwarzen Erwiderung befragt. Die kommt postwendend. Nur wenige Taktzyklen verschwendet er für den in der Lösung angegebenen Zug 1...h2, dann schaltet er - gerade hat die Sekunde sechs geschlagen - auf 1...La8!, mit haushohem Gewinn für Schwarz. Und tatsächlich: der Pattwitz ist weg, die Stellung fehlerhaft (Anrufe beim Schachmagazin und dem Herausgeber der Heuäcker-Studiensammlung ergeben, dass kein Diagrammfehler vorliegt, sondern tatsächlich ein Loch in der berühmten Studie). Wer nun seinen eigenen Rechner anwirft, um die oben geschilderte Analyse zu rekonstruieren, der sollte ihn zum vollen Vergleich etwas länger rechnen lassen. Der Portorose 68020 kündigt nämlich nach ziemlich genau 30 Minuten zusammen mit dem Zug 1...La8! auch noch Matt in acht Zügen an (so schnell ist tatsächlich die Kiste!).
Partien-Ablage
Auf die analytischen Fähigkeiten kommen wir noch zurück. Hier aber gleich eine andere, wirklich freudige Überraschung. Früher habe ich die Mephistos wegen des fehlenden Speichers bei jeder sich bietenden Gelegenheit gerügt. Es geht ja auch nicht an, dass heute, wo schon die 100-Mark-Geräte brav ein Jahr auf die Fortsetzung einer Partie warten, der teuerste und beste bei jeder Stromunterbrechung alles vergisst. Nun hat er aber endlich den geforderten Speicher bekommen, und zwar einen, der seiner würdig ist.
Neben der programmierbaren (ab- und zuschaltbaren) Eröffnungsbibliothek, die eine Art Partiespeicher darstellt und ganze Variantenbäume, nicht jedoch Stellungen, verträgt, gibt es die für mich wichtigere Ablage, wo man z.B. die vorhin eingegebene Studie mit den gefundenen Zügen festhalten kann. Es sind 50 Speicherplätze vorhanden, wovon 20 „Vollspeicher" sind und neben Stellung und Zügen auch alle Einstellungen (Spielstufe, Ton, Infomodus, etc.) sowie die Bedenkzeiten, nicht aber die letzte Analyse (Hauptvariante, Be-wertung, etc.) notieren. Das ist sehr angenehm, da man so mehrere grundverschiedene Aufgaben parallel laufen lassen kann und jederzeit bei minimalem Informationsverlust von einer zur anderen springen kann.
Es gibt aber auch eine andere, extrem nützliche Anwendung: Man kann gewissermaßen „Style-sheets" ablegen - die Grundstellung mit besonders ausgetüftelten Parametern (und dort gerade die komplizierteren Zeiteinstellungen) - und diese bei Bedarf wieder laden, nur um der Einstellungen willen. Wollen Sie beispielsweise wieder einmal an der Vereinsmeisterschaft, mit aufwendigen Zeitvorgaben, mucksmäuschenstill und mit Anzeige der Zeit, Bewertung und Hauptvariante in der Rechenphase teilnehmen, brauchen Sie nur das Monate zuvor programmierte „SPIEL NR 05 (V)" zu laden und haben damit alles sofort parat.
Einen weiteren Speicher gilt es noch zu erwähnen: den, der die letzte Partie und sämtliche Einstellungen grundsätzlich bereithält, auch wenn die Strom-zufuhr jäh unterbrochen wurde. Später, wenn man den Rechner wiederbelebt, bietet er die FORTsetzung der letzten Partie oder einen NeuSTART an. Ich habe noch nicht untersucht, wie der Portorose die diversen Speicher aufrechterhält - vermutlich hat er einen kleinen Lithium-Akku, der sich am Netzstrom auflädt und einen CMOS-Chip versorgt.
Es gibt viele weitere sehr erwähnenswerte Bedienungseigenschaften, auf die ich ein anderes Mal eingehen will - zum einen, weil eine vollständige Beschreibung jeden vernünftigen Rahmen sprengen würde, zum anderen, weil mich wieder mal das sichere Gefühl beschleicht, dass ich vieles noch gar nicht oder nur unvollständig ausgeforscht habe.
Mehr Spielstärke fürs Geld
Und nun zur wichtigsten Frage: die Spielstärke. Das ist die eigentliche Existenzberechtigung dieses Spitzengeräts, und mancher würde liebend gerne auf vieles vom oben Beschriebenen verzichten, wenn er noch mehr Spielwitz für sein Geld bekäme. Wie steht es damit? Ist der Portorose etwas Besonderes, ist er wirklich besser als die Konkurrenz, stärker als der Almeria? Ich selber bin dem Spiel mit dem Computer längst entwachsen, reine Partien gegen solche Geräte haben ihren Reiz verloren. Also müssen andere die Sache übernehmen. Leider war in letzter Zeit kein wirklich starker Spieler bei mir zu Besuch, und so musste ein IM-Kandidat mit lächerlichen 2300 Elo als Versuchsobjekt herhalten. Der trug drei Partien aus, gewann alle drei, indem er mehrfach ganze Zugfolgen zurücknahm. Immerhin hat die Begegnung sein ganzes Weltbild verändert. Ein starker Vereinsspieler, der alles, was ich bislang anzubieten hatte, recht zuverlässig niederringen konnte, verbrachte einen ganzen langen Nachmittag damit, eine Gewinnpartie auszutüfteln. Es gelang ihm nicht. Und im Kleinstadt-Verein, wo etliche junge Spieler eine beachtliche Stärke aufweisen, warte ich immer noch darauf, dass er die erst (Blitz-) Partie verliert.
55-zügige Eröffnungsvarianten
Eine nicht geringe Rolle spielt bei solchen Erfolgen die deutlich erweiterte Eröffnungsbibliothek, die jetzt ca. 85.000 Stellungen enthält, fast die Hälfte mehr als beim Vorgänger. 10.000 Varianten sollen es sein, darunter ganz gediegene Sachen im Scheveninger, Najdorf, Pirc, Reti, Katalan, Wolga und verschiedenen Abspielen des Damengambits. Ein Ast im Marshall-Gambit reicht 55 Halbzüge tief! In der Eröffnung läuft er jedem, der keinen internationalen Titel trägt, spielend davon.
Im Mittelspiel ist der Portorose bekanntlich einstellbar - man kann zwischen SOLID (wie der alte Almeria), AKTIV (voreingestellt) und RISIKO (mit der Kettensäge) wählen. Es ist schwer, den Unter-schied abzuschätzen, da er ohnehin alle Partien gewinnt. Es müssen stärkere, geduldigere Testgegner her, oder man muss die Sache mit Prüfstellungen ausloten. Ich habe einige in Arbeit - wer weiteres Material liefern kann, möge sich bitte melden.
Das Endspiel, dem man früher in Computerpartien mit Freude entgegensah, ist beim Portorose in neue Höhen getrieben. Dazu trägt nicht zuletzt der Megabyte-große Hash-Speicher bei, der ziemlich früh und bei erstaunlich vollem Brett zu greifen scheint. Da H+G mein ständiges Flehen, man möge zu Testzwecken die Hash-Tables abschaltbar machen, erhört hat, werden wir in Zukunft sehr schön experimentieren können. Erste Schlüsse über den Nutzen der Hash-Tables und die Endspielfähigkeiten des neuen Programms können indes mit Hilfe der weiter unten angeführten Testergebnisse gezogen werden.
Gegen Großmeister und IMs
Bevor ich zu diesen analytischen Untersuchungen komme, möchte ich abschließend über das allgemeine Partiespiel des Portorose eine grobe Ein-schätzung wagen: Wenn Sie mit ihm gegen einen Großmeister antreten, versuchen Sie eine möglichst kurze Bedenkzeit (Blitzpartien) zu vereinbaren; gegen einen IM spielen Sie nach Möglichkeit 30-Minuten-Partien; und gegen alles, was darunter liegt, lassen Sie großzügig dem Gegner die Wahl. Nebenbei können Sie auch gern Wetten abschließen - die Chancen stehen in jedem Fall bei 50%. Aber versuchen Sie niemals - ich wiederhole: niemals - selber gegen ihn zu spielen. Gehen Sie lieber nach draußen und rennen Sie mit dem Kopf gegen eine dicke Steinmauer. Dort kommen Sie viel leichter durch. Wie sieht es nun mit den analytischen Fähigkeiten aus? Das Spiel „Mein Computer ist besser als dein Computer" will ich hier nicht übertreiben, aber die Gelegenheit ist gut, die von Detlef Köhlers in seinem Bericht über den Fidelity Designer (s.S.11) zitierten Stellungen mit dem Portorose durchzunehmen. Hier die von mir ermittelten Ergebnisse:
Runau-Mestrovic: Die Stellung lässt sich, um es nochmals zu betonen, mit dem neuen Eingabesystem aus der Heuäcker-Studie in weniger als 20 Sekunden umbauen (praktisch nur STELL, Figuren verschieben, CL). Auch Portorose verschwendet keinen Taktzyklus an 1.Kxh4, sondern fängt gleich mit 1.1(113!! und einer Bewertung von +3 an. Nach 25 s wird +4 angezeigt, und nach 90 Sekunden +6.4 - bei Rechentiefe 15/23 (Hz brute-force/selektiv).
Behting (Umbau: 15 Sekunden!): Portorose braucht - in Worten - null Sekunden, um 1.Kf3!! anzuzeigen. Rechnet er sofort nach der Stellungseingabe, bevor ich ihm das Zeichen gebe? Bei einer Wiederholung mit erneutem Stellungsaufbau und sofortigem ZIEHT kann ich immer noch nicht schnell genug auf INFO schalten, um etwas anderes zu erwischen.
Louma (Umbau: 10 s - es geht immer besser!): 1.g4! ist das erste, was ich sehe, die Bewertung von +3.75 kommt nach 35 s und einer Suchtiefe von 11/19, +6.18 nach 75 s und 13/21.
Kasparjan: 1.Kd7!! wird sofort erwogen, verworfen und dann, nach 15 s mit einer Bewertung von +6 dauerhaft angezeigt. Nach dreieinhalb Minuten und 16/24 Hz kommt dann -0.57 und nach vier Minuten mit 0.00 der endgültig Remisbeweis.
Bauernendspiel: 1.g4! nach 15 Sek. und -1.03, 2.Kg3 sofort, 3.1(114! sofort, 4.Kg3 sofort mit 0.00, und nach manuellem 4.Kxg4 Kg8! (Portorose ist leicht entsetzt) 5.Kh4!! nach 90 Sekunden.
Falscher Läufer: Sofort 1.Ld7, nach 30 Sekunden Le6, jeweils mit +5, dann nach 60 Sekunden 1.Ld7!! mit klarem 9.5 (wer braucht eine Cray?).
Sarychev: Anfangs will er 1.Ke6 mit -2.x, nach 3 min kommt 1.Kc8 (!) und -2.84, nach 4 min 1.Kd6 mit -2.66 und neckischen Pattideen in der Hauptvariante: 1.Kd6 Lf5 2.Kc5 Lc8 3.Kb6 Ke4 4.Ka7 b5 5.Kb6 b4 6.Ka7 b3 (aber auch solide Blockadeversuche wie 2.Ke5 Lc8 3.Kd5 Kf4 4.Kd4 usw.). Nach dreißig Minuten fällt endgültig der Groschen: 1.Lc8!! und die vollständige Erklärung in der Hauptvariante: 1...b5 2.Kd7 Lf5+ 3.Kd6 b4 4.Ke5 Lc8 5.Kd4 b3 6.Kc3. Er kann nur maximal 11 Halbzüge anzeigen, aber bei einer Suchtiefe von 14/22 und -0.03 (nach 40 min) ist ihm der Rest garantiert klar: 6...Le6 7.c8D Lxc8 8.Kxb3 remis.
Kombinatorischer Kasparov
Es fällt mir schwer, bei solchen Leistungen nüchtern zu bleiben. Die von H +G, Weiner und anderen gestreute Behauptung, das neue Programm von Richard Lang sei vor allem positionell hervorragend, ist schlicht falsch. Mag sein, dass er von der Strategie geschlossener Stellungen mehr versteht als jeder andere Mikro, mag sein, dass er IMs mit feingesponnenen Partien niederringt, Tatsache bleibt: Das ist ein taktisches Monstrum, ein kombinatorischer Kasparov, den man vor allem dann fürchten muss, wenn es etwas zu raufen gibt. Analytisch habe ich, mit Ausnahme von Deep Thought, noch nie etwas gleichwertiges zu sehen bekommen. Er beantwortet mir alle taktischen Fragen, die ich stelle, und er tut es schneller und zuverlässiger als die meisten Großmeister-Freunde, die mich zu besuchen pflegen. Ich würde ihn kaufen, und wenn sein Netzanschluss aus dem Feld e4 ragte.
Ich schätze, der Mephisto Portorose ist nach Deep Thought der zweitstärkste Schachrechner der Welt.
Frederic Friedel, 1989